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Prof. Dr.- Ing. Albert Ott

 

Überlichtgeschwindigkeit bei der Signalübertragung ?

 

In den Medien wird auf meist spektakuläre Weise über ein Mikrowellenexperiment berichtet, welches die Möglichkeit der Signalübertragung mit Überlichtgeschwindigkeit beweisen soll. Dabei wird zunächst ein Meßaufbau gezeigt, mit dem eine Messung der (dort nicht genau definierten) Übertragungsgeschwindigkeit durchgeführt wird; als Meßergebnis wird eine Geschwindigkeit höher als Lichtgeschwindigkeit festgestellt.

Das Meßobjekt, eine aus Hohlleitern gebildete Übertragungsstrecke, wird anschließend zur Signalübertragung einer Mozart-Symphonie verwendet, was die Übertragungsmöglichkeit  mit Überlichtgeschwindigkeit beweisen soll. Daran wird die kühne Behauptung geknüpft, die spezielle Relativitätstheorie, eine der Fundamental-theorien der Physik, sei nicht mehr gültig. Daß diese Beweiskette nicht nur nicht schlüssig, sondern falsch ist, soll die folgende kurze Analyse zeigen.

 

Die Überlichtgeschwindigkeit wird für eine Anordnung behauptet, welche im Prinzip aus drei Hohlleitern besteht, die in Kette geschaltet sind. Dabei haben die Hohlleiter 1 und 3 gleiche Querschnittsabmessungen a, der mittlere Hohlleiter 2 hat zumindest in einer der beiden Querrichtungen eine geringere Abmessung.

 

Bild 1: Kettenschaltung dreier Hohlleiter unterschiedlicher Abmessungen

 

 

Um die in den Medien wiederholt vorgetragene Behauptung zu diskutieren, sollen nachstehend die in einer Hohlleiterstrecke meßbaren und für eine Übertragung nutzbaren Geschwindigkeiten verdeutlicht und in Zusammenhang mit den Behauptungen gebracht werden. Dazu wird zunächst ein einzelnes Hohlleiterstück gemäß Bild 2 betrachtet.

 

 

Bild 2 : Hohlleiter mit den für die Signallaufzeit relevanten Abmessungen

 

 

Aus den Maxwell-Feldgleichungen, auf denen die gesamte Elektrotechnik aller Frequenzbereiche beruht, folgt, daß die einfache Gleichung für die Feldamplitude A (A kann dabei für die elektrische oder die magnetische Feldstärke stehen) in einem Hohlleiter lautet

 

(1)

 

Das Fortpflanzungsmaß g im Hohlleiter lautet dabei

 

(2)

                                  

Dabei bedeuten

                                   x                      Laufstrecke der Welle im Hohlleiter

                                   a                     Länge der größeren Seite des Hohlleiterquerschnitts

                       g = a + j b      Fortpflanzungsmaß der Welle

                 a                     Dämpfungsmaß der Welle

                 b                     Phasenmaß der Welle

                                   f                       Frequenz

                                   c                      Lichtgeschwindigkeit im freien Raum

                                   l = c / f           Wellenlänge im freien Raum         

 

Die Gleichung beschränkt sich auf den Grundwellenmode des Hohlleiters (H10 – Welle), was für die Erläuterung des hier betrachteten Sachverhaltes ausreicht.

 

Es ist eine der Besonderheiten der Wellenfortpflanzung im Hohlleiter, daß das Fortpflanzungsmaß g im Gegensatz zu der des freien Raumes nicht nur von der Frequenz  f , sondern auch von der Abmessung a des Hohlleiters abhängt. Dies hat die Konsequenz, daß g sowohl rein reell als auch rein imaginär sein kann; ein komplexes Fortpflanzungsmaß, bei der also Realteil und Imaginärteil gleichzeitig vorhanden wären, kommt unter den hier betrachteten Voraussetzungen nicht vor.  Man unterscheidet daher

 

(3)

Term unter Wurzel in (2) ist positiv

Term unter Wurzel in (2) ist negativ

g ist rein reell

g ist rein imaginär

 

die sich nach (5) ergebenden Geschwindigkeiten sind nachstehend eingefügt

 

 

Wie ein Blick auf Gleichung (1) zeigt, bedeutet ein reelles  g , daß die Wellenamplitude in Fortpflanzungs-richtung wegen der e-Funktion abnimmt, jedoch keine Phasenverschiebung erfährt; im Gegenzug bedeutet ein imaginäres g , daß die Welle nicht gedämpft wird, jedoch mit zunehmender Laufstrecke x eine Phasennacheilung erfährt. Welcher der beiden Fälle vorliegt, entscheidet bei gegebener Frequenz (und bei dem jeweils betrachteten Wellenmode) allein die Abmessung a des Hohlleiters.

 

Es existiert für jede vorgebene Frequenz und damit Wellenlänge eine Grenzabmessung ag, deren Unterschreitung eine Wellenausbreitung im Hohlleiter nicht mehr zuläßt. Die Gleichheit beider Terme unter der Wurzel in (2) liefert dafür

Die letzte Zeile obiger Tabelle zeigt die jeweilige Zuordnung der Abmessung a zu dieser Grenzabmessung.

 

Nun läßt sich bereits die Wellengeschwindigkeit und daraus dann die Wellenlaufzeit bestimmen. Die Signaltheorie unterscheidet  zwei hier relevante Geschwindigkeiten: die Phasenge-schwindigkeit vp und die Gruppengeschwindigkeit vg. Wie schon im Namen ausgedrückt, ist die Phasengeschwindigkeit diejenige Geschwindigkeit, mit der sich eine bestimmte Phase im Raum ausbreitet; sie kann in der Praxis auch relativ leicht in allen Frequenzbereichen gemessen werden, mit ihr läßt sich jedoch keine Information übertragen. Eine Informationsübertragung ist nur mit der Gruppengeschwindigkeit vg möglich. Die Signaltheorie berechnet beide Geschwindigkeiten aus den Gleichungen

(5)

Die sich daraus für den Hohlleiter ergebenden Geschwindigkeiten sind in obiger Tabelle mit eingetragen.

 

Das Diagramm Bild 3 zeigt die beiden Geschwindigkeiten in normierter Form.  Bedeutsam ist, daß bei einer Hohlleiterabmessung a, die sich der Grenze ag nähert, die Phasengeschwindigkeit gegen Unendlich geht, während die Gruppengeschwindigkeit zu Null wird. 

 

 

Bild 3: norm. Phasen- und Gruppengeschwindigkeit im Hohlleiter als Funktion der Abmessung a

 

 

Nun zur Berechnung der effektiven Wellengeschwindigkeit beim Durchlaufen der gesamten Kettenschaltung, wobei die Rechnung für die Phasen- und die Gruppengeschwindigkeit sinngemäß gilt. Man bildet die Teillaufzeiten t1 bis t3 aus den Teillängen und den für die Teilhohlleiter gemäß ihrer Abmessungen geltenden Teilgeschwindigkeiten, addiert die Zeiten zur Gesamtlaufzeit und bildet den Quotienten aus Gesamtlänge und Gesamtlaufzeit. Das ergibt die effektive Geschwindigkeit

 

(6)

 

Jetzt sind gemäß Tabelle (3) zwei Fälle zu unterscheiden: Imaginäres g (rechte Spalte) mit a > ag und reelles g mit a < ag (linke Spalte der Tabelle).

 

Fortpflanzungsmaß g der Welle ist rein imaginär :

 

Ein Blick auf die Gleichung zeigt, daß die effektive Gruppengeschwindigkeit stets unter der Lichtge-schwindigkeit, die effektive Phasengeschwindigkeit stets über der Lichtgeschwindigkeit liegt. Daß die effektive Phasengeschwindigkeit in der Gesamtstrecke je nach den gewählten Abmessungen deutlich höher als die Lichtgeschwindigkeit sein kann, zeigt folgende einfache Grenzüberlegung: Nimmt man an, die Abmessung a2 liege nur wenig über der Grenzabmessung ag, dann geht vp2 gegen Unendlich. Nimmt man weiter an, die Abmessungen a1 und a3 seien deutlich größer als ag, so gehen vp1 und vp3 gegen die Lichtgeschwindigkeit c. Dies führt dann auf die Gleichung

 

 

welche zeigt, daß man durch Wahl der Längen l1 bis l3 nahezu jede beliebige effektive Phasengeschwindigkeit einstellen kann, während die Gruppengeschwindigkeit stets unter der Lichtgeschwindigkeit bleibt.

Da das Dämpfungsmaß a hier stets Null ist, bleibt die Wellenamplitude beim Durchlaufen der Anordnung ungedämpft erhalten.

 

Fortpflanzungsmaß g der Welle ist rein reell :

 

Es handelt sich hier nicht um eine Wellenausbreitung, sondern um eine Feldausbreitung; vp2 und vg2 im Teilhohlleiter 2 gehen gegen Unendlich. Damit ergibt sich für die Phasen- und Gruppengeschwindigkeit durch die Gesamtanordnung

 

(8)

 

Beide Geschwindigkeiten liegen über der Lichtgeschwindigkeit. Liegt hier nun ein Verstoß gegen die Relativitätstheorie vor ? Nein, wie ein Blick auf die Gleichung (1) zeigt. Da jetzt das Dämpfungsmaß a vorhanden ist, sind die Feldamplituden in x – Richtung stark gedämpft, bei

realisierbaren Anordnungen und sinnvoll  gewählten Parametern der Hohlleitern in der Größenordnung von 60 dB / 10 cm. Über einen Mode mit solchen Ausbreitungseigenschaften macht die Relativitätstheorie keine Aussage. Dies ist verständlich, wenn man sich die Ausgangssituation, die zur Entwicklung dieser Theorie geführt hat, vergegenwärtigt. Die damalige Thematik war die Elektrodynamik schnell bewegter Systeme. Dies bedeutet die Zurücklegung großer Strecken in kurzer Zeit, deren Überbrückung eben nur mit ungedämpften Wellen gelingt, jedenfalls nicht mit Wellen, deren Amplitude schon nach wenigen cm Laufstrecke auf ein Tausendstel der Anfangsamplitude abgefallen ist. Dies war nie und ist auch jetzt nicht Gegenstand der speziellen Relativitätstheorie.

  

Nun zur Anwendung der Ergebnisse auf die in den Medien vorgetragenen Behauptungen, die sich in zwei Teile gliedern.

 

Medien-Behauptung 1:        Die Wellengeschwindigkeit durch eine Anordnung gemäß

Bild 1 ist größer als die Lichtgeschwindigkeit

 

Medien-Behauptung 2:        Weil die Behauptung 1 durch Messungen als richtig nachgewiesen werden konnte, läuft auch ein Signal (übertragene Mozart-Symphonie) mit  Uberlichtgeschwindigkeit durch die Anordnung 

 

Die Kritik dieser Behauptungen lautet :

 

Behauptung 1 ist richtig, wenn man, was allerdings bei den Vorführungen nicht explizit gesagt wird, unter Wellengeschwindigkeit ungedämpfter Wellen die Phasengeschwindigkeit versteht, wie die obigen Gleichungen ja zeigen. Die Messung der Phasengeschwindigkeit ist in allen Frequenzbereichen möglich, insbesondere auch im hier disktuierten Mikrowellenbereich, da Phasenwinkelmessungen mit hoher Genauigkeit bei überschaubarem Geräteaufwand möglich sind. Die Messung läuft stets darauf hinaus, daß zwei gleichfrequente, phasenstarr verbundene Wellen durch die Teststrecke und durch eine Referenzstrecke geschickt werden und daß man am Ende der Laufstrecken eine Phasendifferenzmessung durchführt. Als Referenzstrecke hat in diesem Zusammenhang auch eine Übertragungsstrecke für möglicherweise verwandte Triggersignale zu gelten. Aus der Phasenmessung läßt sich, wie oben ausgeführt, die Phasengeschwindigkeit berechnen. Sehr spektakulär lassen sich auch Änderungen der Laufzeit und Laufgeschwindigkeit (= Phasengeschwindigkeit) zeigen, wenn man in der Teststrecke eine Veränderung vornimmt, in der Referenzstrecke dagegen alles beläßt. Wenn man es besonders deutlich machen will, dann zeigt man die Referenzstrecke gar nicht und erwähnt auch nicht, daß eine solche als Voraussetzung für die Phasenmessung überhaupt existiert. So kann man sich auch die Erläuterung sparen, daß man eine Phasengeschwindigkeit mißt.

 

Die Behauptung 1 ist auch richtig für die Ausbreitung in einer Anordnung, welche Hohlleiter-strecken mit  der Abmessung a < ag enthält; jedoch wäre hier" unbedingt hinzuzufügen, daß damit untrennbar eine Amplitudendämpfung verbunden ist. 

 

Fazit zu Behauptung 1: Überlichtgeschwindigkeit bei Phasengeschwindigkeiten ist möglich; sie widerspricht nicht der Theorie, sie wird von dieser für bestimmte Anordnungen, wie hier den Hohlleiter, sogar gefordert und beschrieben. Überlichtgeschwindigkeit bei Gruppen-geschwindigkeiten ist zwingend mit starker Amplituden-dämpfung verknüpft, welche die Ausbreitung auf kurze Strecken begrenzt.

 

Nun zur Behauptung 2. Sie wird in den Medien an die Behauptung 1 nahtlos angeschlossen, indem man über die Meßstrecke nun ein moduliertes Signal überträgt (die immer wieder erwähnte Mozart-Symphonie). Man ist von der tatsächlich erfolgenden Übertragung so gefangen, daß man jetzt die Frage nach der Übertragungsgeschwindigkeit gar nicht mehr aufwirft und stillschweigend unterstellt, dies sei nun aufgrund der vorange-gangenen Messungen ebenfalls wieder die Phasengeschwindigkeit, also eine Überlichtgeschwindigkeit. Darin liegt der fundamentale Irrtum: Die Übertragung des modulierten Musiksignales erfolgt nämlich nicht mit der Phasen-, sondern mit der Gruppengeschwindigkeit. Diese ist im ungedämpften Fall kleiner als die Lichtgeschwindigkeit. Wegen des in Bild 3 gezeigten Zusammenhanges zwischen beiden Geschwindigkeiten ist die Signalübertragungsgeschwindigkeit sogar umso kleiner, je größer vorher durch Wahl der Abmessungen der Hohlleiteranordnung die Phasengeschwindigkeit gewählt wurde.

 

Hat man dagegen durch Wahl der Abmessungen a < ag eine Gruppengeschwindigkeit größer als Lichtgeschwindigkeit eingestellt, so gelingt eben nur Übertragung mit starker Dämpfung.

Es ist an den Vorführungen in den Medien besonders zu kritisieren, daß diese Amplitudendämpfung nicht nur  nicht erwähnt, sondern sogar durch schnelles Einschalten einer" kompensierenden Verstärkung im geeigneten Moment kompensiert wird. Eine entscheidende Komponente des ganzen Komplexes wird hierbei einfach unterdrückt.

 

Wie ist nun der Zusammenhang mit der speziellen Relativitätstheorie zu sehen ? Diese Theorie zeigt, daß die Lichtgeschwindigkeit die obere Grenzgeschwindigkeit für die Übertragung von Masse, Energie und Information darstellt. Die Lichtgeschwindigkeit ist damit Grenzgeschwindigkeit für die Gruppengeschwindigkeit bei Signalübertragung über diejenigen Entfernungen, mit denen sich die Relativitätstheorie überhaupt beschäftigt. Über die Phasengeschwindigkeit macht die Relativitätstheorie keine Aussage. Damit kann aus allen hier diskutierten Experimenten keinerlei Widerspruch zur Relativitätstheorie konstruiert werden.

 

Die in den gezeigten Experimenten gemessenen Geschwindigkeiten lassen sich, wie gezeigt, auf dem Fundament der Maxwell-Feldtheorie lückenlos berechnen. Das Heranziehen eines wie auch immer für diese Zwecke umdefinierten Tunnel-Effektes zur Erläuterung ist abwegig.

 

Hinsichtlich praktischer Anwendungen wurde schon vorgeschlagen, zur Rettung der Übertragung über längere Strecken mit Überlichtgeschwindigkeit die unvermeidliche Dämpfung durch Einfügen von Verstärkern in gewissen Abständen zu kompensieren. Der Vorschlag ist theoretisch sinnlos und praxisfremd. Theoretisch sinnlos deswegen, weil jeder Verstärker eine eigene Signal-Durchlaufzeit  hat und damit die Gesamt-geschwindigkeit wieder herabsetzt. Praxisfremd ist der Vorschlag, weil jeder Verstärker dem ohnehin gedämpften Signal Rauschen hinzufügt, welches eine Signalverwertung schließlich unmöglich macht.

 

Ein weiterer bekannt gewordener Vorschlag empfiehlt die gedämpfte Übertragung mit Überlicht-geschwindigkeit dann wenigstens über kurze Strecken, wo sich die Dämpfung wenig auswirkt, also beispielsweise zur Realisierung von Mikrowellen-Baugruppen. Auch dies ist sinnlos, da nicht ersichtlich ist, welchen Vorteil die geringfügige Verkürzung der Signallaufzeit bei Überlicht-geschwindigkeit in solchen Fällen bieten soll. In anderen Frequenzbereichen, beispiels-weise im Bereich der Lichtwellen, mögen derartige Anwendungen realisierbar und für bestimmte Zwecke sinnvoll sein.   

 

Sollte einmal eine Versuchsanordnung bekannt werden, welche explizit die Gruppen-geschwindigkeit mißt, dabei einen Wert größer als die Lichtgeschwindigkeit liefert und mit einem ungedämpften Wellenmode arbeitet, so müßte die ganze Angelegenheit neu diskutiert werden.

 

Um die obigen Ausführungen allgemeinverständlich zu halten, wurde nur der Effekt erster Ordnung betrachtet.  Auf Effekte zweiter und höherer Ordnung, die auch mit hereinspielen, wurde nicht eingegangen. So blieben außen vor die Fragen der Wellenamplituden in den Teilstrecken, der Reflexion an den Hohlleiterstoßstellen, die Wellenmodeumwandlungen, die Betrachtung der Wellenwiderstände, die Auswirkung der Eigenverluste der Hohlleiter und anderes. Auch auf die Verwendung einiger mikrowellenspezifischer Fachausdrücke wurde im Interesse leichter Lesbarkeit verzichtet.

 

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