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Prof. Dr.- Ing Albert Ott ,
Wiesbaden |
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„Theorie – Ballast“ über Bord werfen
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Es ist schick und fast
allgemein üblich geworden, theoretisches Wissen und Können und eine
darauf beruhende Arbeitsweise verbal abzuwerten und mit dem Etikett der
überflüssigen und nutzlosen Spekualtion zu versehen. Schlagworte wie
"Formelkram", "graue Theorie", "theoretischer Ballast" stehen dafür und
meinen vor allem die Theorien der Naturwissenschaften. Wenn diesen
überhaupt noch eine Bedeutung zugebilligt wird, dann rückt man vielfach
deren experimentelle Arbeitsweise als alleingültige Methode in den
Vordergrund und legt nahe, ein Befassen mit theoretischen Aspekten
besser einigen unproduktiven Spinnern zu überlassen.
Vor einer solchen Denkweise ist
nachdrücklich zu warnen.
Handeln ohne theoretisches Wissen bleibt
unverbindliche Spielerei, vergeudet Zeit und Ressourcen und muß am Ende
erfolglos bleiben. Wenn reines Experimentieren gelegentlich zu scheinbar
brauchbaren Ergebnissen führt, so sind diese in der Regel weit vom
"theoretisch" erreichbaren Optimum entfernt und haben in der Praxis auf
Dauer keinen Bestand. Auch wer den Natur- und Ingenieurwissenschaften
fern steht, wird doch anerkennen, daß beispielsweise die
Halbleitertechnik, der PC, der Transrapid, die Nachrichtensatelliten,
wirksame Pharmazeutika, die neue Kuppel des Reichstages oder
verbrauchsarme Automobilmotoren (um nur einige wenige allgemeinbekannte
Beispiele zu nennen) ohne den Einsatz theoretischen Rüstzeugs nie hätten
entstehen können. Damit soll nun nicht einer Überbetonung der Theorie
das Wort geredet werden, vielmehr gilt es, eine vernünftige Synthese
zwischen theoretischer Basis und praxisorientiertem Handeln zu finden,
was natürlich möglich ist, wie gerade auch die angeführten Beispiele
zeigen.
Als besonders unpassend muß die Verwendung des
Schlagwortes "Formelkram" in Verbindung mit den Natur- und
Ingenieurwissenschaften angesehen werden. Jedes Fachgebiet hat seine ihm
angemessene Sprache. Die Sprache der Naturwissenschaft ist nun einmal
die Mathematik, die hierbei durch nichts anderes zu ersetzen ist.
Glücklicherweise gibt es gute Wissenschaftspublizisten, die einem
fachfremden Publikum einen naturwissenschaftlichen Sachverhalt auch ohne
Mathematik verständlich darstellen können. Auch der Fachmann liest, hört
oder sieht deren Publikationen gerne und mit anerkennender Zustimmung.
Wer jedoch das umständliche und hilflose Gestammel in Wort oder Schrift
erleiden mußte, mit welchem mitunter versucht wird, eine
naturwissenschaftliche Erkenntnis unter bewußt betontem Verzicht auf
jede Mathematik zu vermitteln, der wird anschließend erlöst zur
mathematisch formulierten Version greifen, um sich anhand weniger
Gleichungen mit dem Sachverhalt wirklich bekannt zu machen.
An der die Theorie abwertenden Haltung vieler
unserer Publikationsorgane wird die gesamte Gesellschaft, vor allem die
junge Generation, später noch schwer zu tragen haben. Sollte auf Dauer
erfolgreich propagiert werden können, die Beschäftigung mit Theorie sei
etwas Minderwertiges und letztlich völlig Unnötiges, wenn nicht sogar
Verwerfliches, dann wird jungen Menschen dadurch ein für uns alle
verhängnisvoller Irrtum eingepflanzt. Wer auf der Suche nach seinem
Berufsweg ist, wird sich eben nicht auf ein Gebiet begeben wollen,
welches nahe der gesellschaftlichen Ächtung eingeordnet wird. Der unsere
wirtschaftliche Entwicklung empfindlich behindernde Mangel an
praxisorientieren, aber auch theoretisch versierten
Naturwissenschaftlern und Ingenieuren hat hier eine seiner Ursachen.
Daß hier in der gesamten Gesellschaft ein
Wandel in der Denkweise notwendig ist, zeigt eine Beobachtung, die man
in den elektronischen Medien immer wieder machen muß. Wenn das
Geplaudere eines Moderators oder Teilnehmers einer Talkshow - Runde
nicht zum ersehnten Applaus des Saalpublikums führt, dann kann
schließlich zum letzten Mittel gegriffen werden : Die hingeworfene
Bemerkung, man sei in der Schule besonders in Mathematik und den
Natur-wissenschaften ein schlechter Schüler gewesen, sichert sofort den
erwünschten und bis dahin verweigerten Beifallssturm des Publikums.
Der Mench neigt dazu, Dinge, die ihm zu
schwierig erscheinen und die er nicht versteht, herabzustufen oder als
bedeutungslos abzuqualifizieren und versucht damit, seine eigene
Ahnungslosigkeit in milderem Licht erscheinen zu lassen. In unser aller
Interesse sollten die in den Medien Tätigen diese menschlich
verständliche Schwäche auf ihren privaten Bereich beschränken, jedoch
nicht in ihre der Öffentlichkeit präsentierten Publikationen einfließen
lassen. Das sich abzeichnende Dahinschwinden unseres auf teilweise weit
zurückliegenden naturwissenschaftlich-technischen Pionierleistungen
beruhenden Wohlstandes sollte auch in diesem Bereich als unüberhörbares
Alarmsignal verstanden werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine
Veröffentlichung in der FAZ als Anlass zu einem Vorschlag nehmen, der
ein Beitrag zum Heranführen junger Menschen an
naturwissenschaftlich-technische Gebiete sein soll. Im Feuilleton vom
31.1.2003 wurde das Ionentriebwerk der Universität Gießen und sein
Einsatz beim Transport des Satelliten ARTEMIS in die geostationäre Bahn
nach vorausgegangenem Ausfall der chemischen Triebwerke besprochen. Ich
schlage vor, daß abgestützt auf die veröffentlichten Leistungsmerkmale
in den Übungen des Physikunterrichts der Gymnasien die (nicht
veröffentlichten) Hauptdaten eines solchen Ionentriebwerks berechnet
werden. Mit dem physikalischen Wissen der Oberstufe aus den Gebieten
Mechanik, Elektrophysik, Wärmelehre können solche Daten (wie
Beschleunigungsspannung, Massendurchfluß, Ionenstromdichte,
Triebwerksleistung, Größe der Solarzellen, Äquivalentmenge an chemischem
Treibstoff usw.) berechnet werden. Es läßt sich so den Schülern die
Verzahnung verschiedener Gebiete an einer Hightech-Lösung zeigen und
verdeutlichen, daß hier nicht "Formelkram", sondern angewandte Theorie
am Werke ist. Das didaktische Geschick eines Physiklehrers, der bei
seinen Schülern dabei nicht wenigstens ein Mindestmaß an Begeisterung
wecken kann, müßte durch Weiterbildungs-maßnahmen verbessert werden.
Damit eine solche Übung kein Einzelfall bleibt : In zahlreichen
allgemein zugänglichen Publikationen finden sich laufend
hochinteressante Beispiele für technische Anwendungen physikalischer
Prinzipien, die sich in ähnlicher Weise unterrichtswirksam verwerten
lassen.
Wer sich anhand eines die gesamte neuere
Technik prägenden Beispiels, nämlich die Entwicklungsgeschichte des
Transistors, über die erfolgreiche Verzahnung theoretischen Wissens und
Könnens mit anwendungsorientierter Erfindertätigkeit informieren möchte,
lese das im besten Sinne gemäß obiger Aussage ohne Mathematik
hervorragend geschriebene Buch der Wissenschaftsjournalisten
Riordan/Hoddeson mit dem Titel "Crystal Fire" ISBN 0-393-31851-6.
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